Kapitel 2 Die öffentliche Entziehung der Identität
Doch ehe er den beißenden Schmerz in seiner Brust deuten konnte, wurde leise an die Tür des Gästezimmers geklopft.
Noch sieben Tage, Christof. Dann werde ich nicht länger auf dich warten.
Wie zu erwarten, kehrte Christof in dieser Nacht nicht zurück. Als meine Hand jedoch die kühle, unberührte Seite des Bettes berührte, durchfuhr mich ein wohlbekannter Stich.
Hastiges, lauter werdendes Klopfen hallte an der Tür wider. Ich öffnete die Tür und erblickte eine der Hausangestellten der Vance-Familie. Ein höhnisches Grinsen lag auf ihrem Gesicht.
"Die gnädige Frau hat mich geschickt. Sie sagt, du sollst das Kind sofort zum Anwesen der Vance-Familie bringen."
Christofs einschüchternde Mutter hatte mich schon immer verachtet. Sie sah in mir eine liederliche, herrenlose Frau. Selbst ihr Blick auf meinen Sohn war voller Abneigung.
Da sie dies stets offen zeigte, folgten die Hausangestellten ihrem Beispiel.
Als ich in der großen Halle des Anwesens ankam, fand ich die gesamte Sippe der Vances versammelt vor. Christof, der die ganze Nacht verschwunden gewesen war, stand neben Seraphina und stützte sie behutsam. Seine Augen waren erfüllt von einer Zärtlichkeit, die er mir nur selten geschenkt hatte.
Christofs Mutter strahlte über das ganze Gesicht, während sie auf Seraphinas leicht gerundeten Bauch blickte. "Seraphina ist endlich schwanger! Da die ganze Familie heute hier ist, wird es Zeit, das Versprechen von vor sechs Monaten einzulösen!"
Der angesehenste Familienälteste trat vor und bestätigte Christofs offiziellen Status als Leiter der Vance-Gruppe.
"Jetzt, da die Vance-Familie einen Erben hat, sollten wir baldigst einen Hochzeitstermin festlegen."
Ich blickte auf und sah, dass sich alle Blicke auf Seraphina richteten, sogar Christofs.
Er streichelte ungeniert Seraphinas Bauch, und sein Gesicht war weich vor Zuneigung.
"Ich werde Vater."
Nicht "Ich werde wieder Vater", sondern "Ich werde Vater".
Ein bitterer Stich fuhr mir durchs Herz. Meine zur Faust geballte Hand verkrampfte sich noch mehr.
Leos kleine, schwächliche Stimme hallte durch die weite Halle. "Mama, du tust mir weh."
Ich ließ sofort seine Hand los. Seine kleine Handfläche war feuerrot.
"Das tut Mama so leid, mein Schatz. Lass Mama dich küssen ..."
Die wenigen Worte meines Sohnes zogen alle Blicke im Raum auf sich.
Christofs Onkel runzelte die Stirn. "Sollte bekannt werden, dass das Familienoberhaupt der Vances ein uneheliches Kind hat, wäre der Ruf der Familie ruiniert."
"Nur ein Bastard, gezeugt von einer Mätresse", spie Christofs Mutter verächtlich und starrte mich an. "Von jetzt an werden wir verbreiten, dass dieses Kind von einem entfernteren Vance-Zweig abstammt und hier in Obhut gegeben wurde."
Christofs Mutter mochte mich nicht und folglich auch Leo nicht.
Es war ihr Einfall gewesen, Christofs Verbindungen zu mir und Seraphina als Druckmittel zu nutzen, um seine Position als Oberhaupt zu sichern. Jetzt, da Seraphina schwanger war, war Leo noch überflüssiger geworden.
Christof ließ Seraphinas Hand los. "Mutter, das geht zu weit!" Er wollte auf mich zukommen, doch Seraphina zog ihn behutsam zurück.
Ich sah es deutlich. Ich nahm Leos Hand und ging direkt zu Christofs Mutter.
"Wie du befiehlst. Von jetzt an wird Leo nicht mehr Christof Vances Sohn sein."
Ich kniete mich vor Leo nieder, meine Augen brannten, und erklärte ihm: "Schatz, von jetzt an darfst du ihn nicht mehr Papa nennen. Du musst ihn Herr Vance nennen, verstehst du?"
Christof erstarrte. Er wusste, dass ein großer Teil des Grundes, warum ich die letzten sechs Monate hier geblieben war, Leo war. Er versuchte, einen Funken Widerwillen in meinen Augen zu finden.
Doch er fand nichts.
Ein kleines Kind konnte die Kompliziertheit der Situation nicht begreifen.
Sein Gesicht war rot und nass von Tränen.
Ich beeilte mich, Leo hinauszubegleiten, doch dann hörten wir Seraphinas Stimme. "Ach, Irma, meine Liebe, ich hörte, violetter Amethyst sei so wohltuend für schwangere Frauen. Christof suchte tagelang, konnte aber keinen finden. Und stell dir vor, als ich sah, dass du so ein schönes Stück hast!"
"Ich frage mich, ob du es mir überlassen würdest?"
"Christof Vance, ist das auch dein Wunsch?"
Ich erhaschte einen Blick auf die frischen Knutschflecke, die unter Seraphinas hochgezogenem Kragen hervorschimmerten.
Mein Herz fühlte sich an, als würde man mit feinen Nadeln darauf herumtanzen, ein stechender, nagender Schmerz.
Dieser violette Amethyst-Anhänger war unser Liebespfand gewesen.
Wir hatten uns vor sieben Jahren auf einer Kunst- und Antiquitätenmesse kennengelernt, als wir beide nach genau diesem Stück griffen. An dem Tag, an dem wir uns wirklich näherkamen, hatte Christof eigenhändig die Lederschnur durchgefädelt und mir den Amethysten um den Hals gelegt.
Er hatte ein gemeinsames Leben bis ans Ende versprochen. Ich wusste, dass Seraphina danach gierte. Sie hatte Christof mehr als einmal deswegen gebeten, doch er hatte immer abgelehnt. Doch diesmal wich sein Blick aus, seine Augen waren voller Zögern und Schuldbewusstsein.
"Vielleicht könntest du ihn ihr..."
"In Ordnung."
Ich lachte höhnisch, riss den violetten Amethysten von meinem Hals und drückte ihn Seraphina in die Hand. Als ich sah, wie Seraphina ihn strahlend vor Freude anlegte, fügte ich hinzu: "Er steht dir wirklich ausgezeichnet."
Dann ging ich mit meinem Sohn hinaus, während Christof mich nur fassungslos anstarrte.
