Zusammenfassung
Wen wird sie heiraten? Den, der sich für sie in die Hand gestochen hat? Den, der in seinem ganzen Leben noch kein Wort mit jemandem gesprochen hat? Vielleicht den, der so ist wie sie? Vielleicht auch den, den keiner ihr erlaubt? Sollte sie einfach alle ablehnen? Oder ist da noch jemand an anderes? Alamea soll heiraten, doch alle ihre Optionen scheinen nicht die richtigen zu sein. Kann jemand ihr Herz erwärmen oder ist es sie, die ein anderes erwärmt? In einer Welt, in der Grausamkeit normal ist und Freundlichkeit abgelehnt wird, sucht ein besonderes Mädchen nach jemandem, der sie wirklich liebt.
1 - Lorcan
Mein ganzes Leben lang habe ich mir nie gewünscht sprechen zu können. Ich hatte nichts zu sagen und niemanden mit dem ich mich unterhalten konnte. Mein ganzes Leben lang habe ich geschwiegen.
Ich glaube nicht, dass ich noch sprechen kann. Die Ärzte glauben es sicher auch nicht. Wer seine Stimmbänder für 21 Jahre nicht benutzt, der kann wohl nicht erwarten, dass sie plötzlich noch für ihn arbeiten. 21 Jahre. So alt bin ich. 21 Jahre impliziert, dass ich bereits tonlos geboren wurde. Jedes Baby schreit, wenn es das Licht der Welt erblickt. Ich tat es nicht. Ich erblickte auch kein Licht.
Mein Name ist Lorcan. Ich bin der Erstgeborene meines Klans und damit das stärkste und böseste was es zwischen der weinenden Schlucht und den heuchelnden Bergen gibt. Geboren um zu herrschen, zu unterwerfen, zu töten. Ich bin der, den sie alle fürchten lernen. Merk dir meinen Namen, denn kennst du ihn nicht, wird das der sichere Tod für dich sein.
Lorcan. Er bedeutet für die Meisten 'Mut, Gewalt oder das erbitterte Streben nach Macht'. Siehst du mich dunkel und kalt in dem Winkel deines Auges, dann trittst du besser zur Seite, wenn dir dein Kopf lieb ist. Ich brauche keine Worte um dich auf die Knie zu zwingen, meine Hände reichen dafür aus. Wenn ich schlecht drauf bin, dann reicht auch ein einfaches Blinzeln.
'Lorcan' bedeutet auch 'der Stille' oder 'der Stumme'. Worte sind überbewertet und nur nötig, wenn du nicht stark genug bist dich anders auszudrücken. Ich muss niemandem sagen, dass er sich verbeugen soll. Sie wissen es und wer es nicht weiß, der lebt bereits nicht mehr. Mein Klan hat diesen Namen extra gewählt. Er erinnert uns alle jeden Tag an die Enttäuschung meiner Geburt, doch nach außen hin, zeigt er das was meine Familie repräsentiert: Stolz. Dass ich nicht sprechen kann war meine Entscheidung. Ich habe es nicht für nötig gesehen.
Die ersten vier Tage meines Lebens habe ich gesprochen. Die ersten vier Tage meines Lebens war ich allein in völliger Dunkelheit. In diesen Tagen habe ich mehr über die Welt und ihre Kreaturen gelernt als in denen, in denen Sonne durch die Fenster schien und man mich bemerkte. Das Leben ist kalt, dunkel und hässlich. Wenn du es beherrschen willst, musst du kälter, dunkler und hässlicher sein. Nicht unbedingt äußerlich. Versteh mich nicht falsch. Ich bin das schönste was du auf dieser Seite der Welt finden wirst. Sie sagen alle es sei eine Schande das jemand mit meinem Gesicht nicht sprechen kann. Wundern sich wieso meine Perfektion eine Lücke hat.
Ich bin ein Nicoli. Eine Kreatur der Dunkelheit, der Nacht ohne Sonne. Anders als bei euch scheint sie bei uns nur wenige Stunden und erlischt dann zu völliger Kälte. Und wenn die Nacht besonders stürmisch und unertragbar erscheint, dann kommen wir zur Welt. Wie jeder meiner Art kroch ich aus der Erde hervor. Damals war ich sechzig Zentimeter groß und grub meinen Weg vier Meter nach oben um dann aus der engen Dunkelheit in eine weite zu gelangen. Nicoli werden aus der Erde geboren. Ich war geboren wie alle anderen, gesund und voller Würde.
Ich sprach mit mir selbst und wunderte mich über die Dummheit meiner Erschaffer als diese nach zwei Tagen immer noch nicht herunter in die Keller kamen um mich zu finden. Als sie mich entdeckten, da wusste ich sofort, dass meine Worte verschwendet wären. Sie wollten, dass ich sie preise, aber wieso sollte ich, wenn ich doch mächtiger war als sie?
Ich erinnere mich noch gut daran wie sie da standen und mich schüttelten und anschrien, ich solle doch gefälligst einen Ton von mir geben. Noch am selben Tag brachten sie mich zum Alchemisten. Er testete mich auf alles was es auf diesem Planeten gibt und kam zu dem Ergebnis, dass nichts an mir falsch war. Meine Erzeuger wurden wütend und ich beobachtete interessiert wie sie den Alchemisten umbrachten. Mit fünf Tagen war ich Zeuge des ersten Mordes. Wie leicht es doch war jemanden zu beenden. Ein einfaches Messer in den Hals und dann zusehen wie sie langsam an sich selbst ersticken.
Die Tage darauf versuchten sie alles um mich zum sprechen zu zwingen. Sie brachen mir zwei Finger, aber ich schrie nicht. Sie brachen mein Knie, aber ich schrie nicht. Sie hingen mich von einer Klippe über rauschendes Gewässer und ich schrie nicht. Sie sperrten mich ein Jahr lang in einen so grellen Raum, dass ich glaubte zu erblinden, doch ich flehte nie um ihre Gnade. Sie verbrannten meinen Rücken mit Feuer, aber ich zuckte nicht weg, wimmerte nicht. Sie drohten mir ein Auge zu nehmen, aber ich kam nur näher und bietete es ihnen an. Sie setzten mich unter Drohen, vergifteten mich, aber ich wusste, dass sie mich nicht umbringen konnten. Sie brauchten mich zu sehr.
Nach drei qualvollen Jahren gaben sie auf. Vier Jahre ignorierten sie mich, aber als ich dann sieben Jahre alt wurde, da konnten sie es nicht mehr. Ich war bereits so stark, dass mich ein ganzes Heer nicht hätte töten können. Bereits ein Jahr nach meiner Geburt versuchten sie eine neue Kreatur zu erschaffen. Ihr Plan war es einen neuen Nachfolger zu kreieren und so versuchten sie es wieder und wieder. Der Grund wieso ich so ekelhaft viele jüngere Geschwister ertragen muss.
Es ist amüsant wie sehr sie es doch versucht haben mich nochmal zu erschaffen. Jemanden, der stärker ist als jedes Element und sie sich unterwerfen kann als hätte er sie erschaffen. Daran, dass sie mich nicht umgebracht haben, kann man erkennen, dass ihre Versuche erfolglos waren. Keines von ihren weiteren Werken kann mir das Wasser reichen.
Deswegen nannten sie mich nach zehn namenlosen Jahren schlussendlich ‚Lorcan'. Um mich zu bestrafen und sich gleichzeitig daran zu erinnern wieso sie mich nicht vernichten können. Hätten sie es versucht, hätte ich sie umgebracht. Mit solch einer Leichtigkeit, dass ihr Herz schon vor Schock angehalten hätte. Ein hübsches Bild oder nicht? Sie auf dem Boden mit erstarrten Augen. Meine beste Eigenschaft ist Geduld. Ich wehrte mich nicht als sie mich quälten, denn ich wusste, dass sie es eines Tages bereuen würden. Ich wollte zusehen wie ihnen klar wurde, dass ihre Zukunft von mir abhängt. Ich wollte erfahren wie es ist, wenn sie sich vor mich knien und betteln ihnen zu verzeihen. Wenn sie meine Hilfe brauchen und sich daran erinnern was sie alles getan haben um sich diese Chance zu versaun. Noch ist dieser Tag nicht gekommen, aber die Lebenserwartung eines Nicoli ist fast tausend Jahre, also habe ich noch genug Zeit.
Mein Klan besteht aus denen, die mich erschaffen haben und denen, die erschaffen wurden. Eine Gemeinschaft des gleichen Blutes. In meinen Adern fließt das mächtigste Blut, dass je kreiert wurde. Zwei Nicoli verbündeten sich und erschufen einen Samen, dunkel wie die tiefste Höhle. Sie gruben ihn mit Samthandschuhen in die Erde und warteten bis aus ihm eine Person wuchs. Diese zwei Nicoli waren außergewöhnlich stark und verfolgten den gleichen Plan. Sie wollten jemanden erschaffen, der ihre Familie zur mächtigsten der Welt macht. Aus diesem Grund gaben sie mir so viel ihrer Kraft wie sie nur konnten und machten mich stärker als sie es je sein konnten.
Damit opferten sie ihren Verstand und ihre Würde. Alles was ein Nicoli braucht ist Macht, Kraft, Erbitterlichkeit. Ich würde meine Kraft nicht mal abgeben, wenn es mich mein Leben kosten würde es nicht zu tun. Ich würde lieber sterben als sie zu teilen! Nicoli erlangen nur über Zeit mehr macht, nutzt du sie, kriegst du sie nur über Zeit wieder zurück. Bis heute sind meine Erzeuger schwächer als am Tag meiner Erschaffung. Vielleicht sterben sie auch bevor sie diese Macht wieder erreichen können.
Deswegen waren sie auch so enttäuscht als sie mich aus ihren schwarzen Augen anstarrten und mir sagten ich solle mich verbeugen, ich es aber nicht tat. Nicht sprach, sie nicht würdigte oder anerkannte. Sie wollten mich kontrollieren, aber ich ließ sie nicht. Ich war frei geboren und niemals würde ich diese Freiheit abgeben. Das war mein erster Gedanke als ich herunter in das Loch sah aus dem ich kam. Nie wieder werde ich dort hin zurück gehen! Sie schufen mich zwar und nach drei Wochen kam ich aus ihrem Meiskolben großen Samen, aber ich war doch immer noch meine eigene Kreatur. Das wusste ich bevor sie es begriffen. Ich war geboren um zu unterwerfen, nicht um zu unterworfen zu werden.
Sie brauchen mich und fürchten mich. Alle fürchten sich. Das bedeutet nicht, dass sie mir nicht zeigen was für eine Enttäuschung ich bin, aber es bedeutet, dass sie sich nicht trauen mich anzurühren. Während meine Geschwister mit Schmerzen bestraft werden, wenn sie Fehler begehen, werden meine ignoriert.
Ich kann machen was ich will, obwohl ich nicht spreche. Deswegen verbringe ich meine Zeit alleine. Meine Gemächer sind groß und dunkel wie es mir gefällt. Sie sind so weit vom Himmel entfernt, dass nicht ein einziger Sonnenstrahl meine Fenster erreicht. Zur Sicherheit habe ich sie trotzdem mit großen Vorhängen abgedeckt. Die Decken sind hoch wie in einer Grotte, haben Muster und Verzierungen. Der Boden bleibt immer matt und schwarz. Spiegelt wie ein tiefes Loch keinen einzigen Lichtstrahl wieder. Wenn es draußen zu dunkel wird, dann zünde ich Kerzen an. Grüne Flammen, blaue und rote. Lasse die stolzen Wände meines Palastes mit ihren Schatten flackern.
Niemand wagt es hier rein. Sie warten bis ich mich entscheide heraus zu gehen. Das passiert üblicherweise nur einmal am Tag, wenn ich mit meinem Klan speise. Um Mitternacht jeden Tages treffen wir uns in der großen Halle. Ich, meine Erzeuger und meine Geschwister. Sie nennen sich gegenseitig Konkurrenten, aber da keiner von ihnen mir das Wasser reichen kann, nenne ich sie Geschwister. Natürlich wissen sie das nicht. Wie sollten sie auch, wenn ich nicht sprechen kann.
Anders als sie bevorzuge ich die Einsamkeit. Bevorzuge die Kompanie meines Haustieres. Er ähnelt einer Katze, ist jedoch groß wie ein Elefant. Die Beine sind eher kurz, aber die Tatzen sind besonders breit. Er hat schwarzes Fell und eine dunkle geflochtene Mähne, die sich steif über seinen Hals herunter zu seinen Schultern schlängelt. Ab den Schultern beginnen seine Scherben. Silbrige scharfe Schuppen, die wie Sporen seitlich aus ihm heraus wachsen. Wenn er sich hinlegt, dann klappen sie sich ein als wären sie aus Gummi, aber wenn du sie berührst, sind sie hart wie Stahl und scharf wie ein Schwert.
Man sagt sie könnten leuchten, aber das haben sie bis jetzt nie getan. Der Schwanz meiner Katze ist lang und besitzt Federn, die er breit auffächern kann. Sie sind wie die eines Faun und können mit ihrem Schwung tobende Windböen erzeugen. Was mir jedoch am meisten an ihm gefällt ist sein Kopf. Er hat vier kleine Hörner, die sich zusammen beugen als würden sie ein zweites Paar Ohren nacharmen. Seine Augen sind groß aber schmal und seine Pupillen sind wie die einer Schlange. Es ermöglicht ihm sogar zu tauchen, aber ich gehe mit ihm nie an den Ozean. Seine Iris ist völlig farblos. Im Dunkeln kannst du seine Augen gar nicht sehen. Vor Kerzen reflektieren sie einfach das Licht. Zähne hat er auch. Sie sind wie sein Fell tief schwarz. Sind spitz wie seine Schuppen und länger als die Krallen an seinen Tatzen. Sie sind jedoch wie seine Krallen genauso giftig. Wirklich alles an ihm ist tödlich.
Ich habe ihn Astral genannt. Für alle ungebildeten: Astral ist eine Substanz, die den Körper verlassen kann und seinen Tod überdauert. Ein zweiter Körper, der aus meinem gebiert oder eine Seele, wie andere es nennen. Mein Haustier ist mächtig und gefürchtet wie ich, also hielt ich es für passend. Er ist ein weiterer Grund wieso sich keiner in meine Gemächer wagt.